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Das nervt!

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 17. Nov. 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Zum dreißigjährigen Jubiläum des Mauerfalls wird vor dem Brandenburger Tor in hebräischer Schrift „Schluss mit der Besatzung!“ auf eine Leinwand projiziert. Warum, bitte schön, feiert Berlin den Mauerfall mit „Israelkritik“?

Veröffentlicht in: FAS, 17.11.2019


Screenshot FAZ.net

Als man in Berlin den dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls feierte und eine Sängerin vor dem Brandenburger Tor auf der Bühne stand, wurden auf einer riesigen Bildschirminstallation Sätze auf Russisch eingeblendet: „Schluss mit der Besatzung der Krim“ und „Russland ohne Putin!“. Diese Szene habe ich mir ausgedacht, sie hat es so nicht gegeben. Ehrlich gesagt kann ich mir gar nicht vorstellen, dass jemand in Deutschland auf eine solche Idee kommen könnte, selbst wenn es sich um eine völkerrechtlich gültige Forderung und den populärsten Slogan der russischen Protestbewegung handelt. Ich kann mir auch kaum jemanden vorstellen, der eine solche Aktion gutheißen würde, schließlich haben die aktuelle politische Lage in Russland und seine Streitigkeiten mit Nachbarn mit der deutschen Wende vor dreißig Jahren gar nichts zu tun.


Tatsächlich stand auf jenem Bildschirm etwas anderes: „Schluss mit der Besatzung“ auf Hebräisch. Die Veranstalter, die die Videoreihe zum Thema Protestbewegungen zusammengestellt hatten, dachten nicht einmal daran, dass am 9. November nicht nur die Mauer gefallen war, sondern auch die Reichspogromnacht vor 81 Jahren stattgefunden hatte und die damals niedergebrannte Synagoge nur einen Steinwurf entfernt von ihrem Bildschirm steht.


Wie könne ich mich Jude nennen

Die Reaktionen auf diesen Eklat waren meistens so banal wie vorhersehbar: Man solle sich wegen solcher Bagatellen nicht so aufregen, man werde doch Israels Politik kritisieren dürfen, man solle nicht so paranoid sein und überall den Antisemitismus wähnen. Diese Episode war an sich kein großer Aufreger, die Reaktionen darauf blieben ebenfalls unter dem Radar der großen deutschen Öffentlichkeit. Dennoch waren sie sehr präsent in meiner Facebook-Blase, die zu einem erheblichen Teil aus deutschen Journalisten, NGO-Mitarbeitern und Politikern besteht. Das nervt.


Jeder in Deutschland scheint besser als ich zu wissen, was ich als Jude zu empfinden habe und ob ich es überhaupt darf. Dies war doch nicht so gemeint. Das war doch legitime Kritik. Wie kommt es nur, dass ich allein schon das Wort „Israelkritik“ als eine antisemitische Äußerung empfinde? Vielleicht daher, weil ich in Bezug auf Russland genau das Gegenteil der deutschen Haltung gegenüber Israel erlebe? Selbst die schlimmsten Untaten der russischen Führung und deren schärfste Kritik haben offenbar keinen Einfluss auf die übliche deutsche Russlandschwärmerei. Eher ist man bereit, alles zu verzeihen und zu vergessen.


Und überhaupt muss ich mir in Deutschland öfter anhören, wie könne ich mich Jude nennen, wenn ich doch evangelisch sei und nur einen jüdischen Vater habe? Dass ich mich jetzt mit den Unannehmlichkeiten meines halbjüdischen Daseins in Deutschland auseinandersetzten darf, habe ich, welch ein Zufall, ausgerechnet dem Fall der Mauer zu verdanken.


Deutscher Antisemitismus, tagein, tagaus

Die DDR betrieb eine stramm „antizionistische“ Politik, bildete PLO-Kämpfer aus und unterstützte arabische Länder in deren Kriegen gegen Israel, etwa mit Beratern und geheimdienstlichen Informationen. Nachdem die Mauer fiel, war damit Schluss. Als eine eher symbolisch gemeinte Geste der Wiedergutmachung erklärte die sterbende DDR, sie werde die verfolgten Juden aus der UdSSR aufnehmen.


Den sowjetischen Staat interessierte es nicht im Geringsten, ob du in die Synagoge gingst und ob deine Oma mütterlicherseits jüdisch war, um dich von bestimmten Studiengängen oder Berufen auszuschließen. Den sowjetischen Mitbürgern reichte meistens dein Name oder deine Hakennase, um dich wissen zu lassen, was sie von dir und „deinem Volk“ hielten.


Die Behörden in der DDR waren bei der Aufnahme sowjetischer Juden ähnlich großzügig, das wiedervereinigte Deutschland führte diese Aufnahmepolitik einige Monate fort. So kam auch ich nach Deutschland, das war knapp. Denn kurz darauf übertrug man die Entscheidungen an jüdische Gemeinden, und für die sind Juden nur diejenigen, die eine jüdische Mutter haben und keiner anderen Religion angehören. Mit dem deutschen Beitrag zum palästinensischen Terror hatte man sich dann auch nicht lange beschäftigt. Dafür ist der sogenannte Antizionismus nach wie vor en vogue.


Vor zwei Jahren weigerten sich die öffentlich-rechtlichen Sender eine Dokumentation über den europäischen Antisemitismus auszustrahlen, in der es um seine Verbindung mit dem Antisemitismus im Nahen Osten ging. Die Ausstrahlung, die nach dem öffentlichen Aufschrei doch noch stattfand, wurde von einer grotesken Debatte begleitet. Man durfte damals zum Beispiel das Vorstandsmitglied der „Reporter ohne Grenzen“, Gemma Pörzgen, erleben, die nicht die Filmemacher gegen die Zensur verteidigte, sondern die Zensoren gegen die Kritik: Der Film sei Propaganda, man solle zwischen dem bösen Antisemitismus und dem legitimen Antizionismus unterscheiden, der Ablehnung einer, wie sie sagte, nationalistischen und nationalreligiösen Ideologie.


Als sie diesen Unsinn im Deutschlandfunk verbreitete, kam der Moderator nicht einmal auf die Idee einzuwenden: Der Zionismus ist doch nichts weiter als die Idee, dass Juden einen Nationalstaat in ihrer historischen Heimat haben sollen, haben Sie etwas dagegen? Das ist der deutsche Antisemitismus, den ich tagein, tagaus erlebe. Er hat für mich viele Gesichter. Das mörderische des Attentäters von Halle. Das ignorante der Veranstalter der Feier am Brandenburger Tor. Das selbstgefällige einer Gemma Pörzgen. Und das arrogante jener Facebook-Freunde, die schreiben, ich soll mich nicht so zieren, war doch nicht so gemeint.

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