top of page

Die Hochnäsigkeit des russischen Oppositionssenders

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 11. Dez. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Feb. 2024

Der oppositionelle TV-Sender Doschd wurde in Russland gesperrt, zog dann nach Lettland um und verlor in dieser Woche dort seine Lizenz. Doch geht es in diesem Skandal wirklich nur um einen einzigen Satz?

Veröffentlicht in: FAZ, 11.12.2022


Screenshot FAZ.net

"Wir hoffen, dass wir vielen Soldaten helfen konnten, unter anderem mit der Ausrüstung und der Basisausstattung an der Front“, hat der Moderator Alexej Korosteljow am 1. Dezember in der Live-Sendung des oppositionellen russischen Senders Doschd gesagt – und meinte dabei die Mobilisierten in der russischen Armee. Dieser Satz löste eine Kette von Ereignissen aus, die erst zum Entzug der Sendelizenz in Lettland führten und anschließend zum Festival der Selbstentblößung in den Reihen der exilierten russischen Oppositionellen.



Viele von ihnen sind heute auf die Hilfe europäischer Demokratien angewiesen. Und dabei, wie jetzt immer deutlicher wird, offensichtlich davon überzeugt, dass sie einen bedingungslosen Anspruch auf diese Hilfe haben, aber nicht jedem Land die Ehre erweisen würden, sie auch anzunehmen. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der estnische Philologe und Journalist Jan Levchenko spricht in seinem Kommentar in der Zeitung „Postimees“ genau diese Haltung der neuen Exilanten an: Als die Stadt Narva Gastgeber des nun heimatlosen Moskauer Drama-Festivals „Lubimowka“ wurde, habe ein Vertreter des Projekts auf der Pressekonferenz gesagt: „Das älteste Festival des russischen Dramas erweist den Ländern, die ihm ihre Veranstaltungsorte zur Verfügung stellten, eine große Ehre.“


Der Sender Doschd, der in Russland im März gesperrt worden war, erwies die Ehre dann Lettland. Fast alle großen unabhängigen russischen Medien hätten über einen Umzug nach Berlin gesprochen, schrieb im Mai der Bestsellerautor und einstige Chefredakteur von Doschd, Mikhail Zygar, in einer Kolumne auf "Spiegel Online". Berlin aber habe seine Chance verspielt, die Hauptstadt der Exilrussen zu werden, Deutschland habe es nicht eilig gehabt, russischen Einwanderern zu helfen, deshalb habe sich Doschd nach Riga umorientiert. Im Juni wurde Doschd in Lettland die Sendelizenz erteilt. Sie galt für die ganze EU, enthielt allerdings die Auflage, alle Sendungen ins Lettische zu übersetzen. Diesen Forderungen ist der Sender trotz Abmahnungen des lettischen Nationalen Rates für elektronische Massenmedien (NEPLP) nicht nachgekommen.


Aber zurück zur folgenreichen Sendung: Ausgestrahlt am 1. Dezember, provozierte sie sofort einen Sturm der Entrüstung. Der Chefredakteur Tichon Dsjadko entschuldigte sich, der Moderator Korosteljow wurde entlassen. Genutzt hat es wenig. Erst wurde der Sender mit einer Geldstrafe von 10.000 Euro belegt, weil er, formell ein lettisches Medium, die russische Invasionsarmee “unsere Armee“ nannte. Dann, am 6. Dezember, hob NEPLP die Sendelizenz mit der Begründung auf, der Sender gefährde Lettlands nationale Sicherheit. Die russische Medienöffentlichkeit tobte bereits wegen der vermeintlich zu harten Bestrafung des Moderators durch den Sender, jetzt ging der Ärger erst richtig los. Der Schriftsteller Dmitrij Bykow sagte aus Protest seine Lesung in Riga ab. Der Umzug von Doschd ins Baltikum sei ein Fehler gewesen, schrieb der Dokumentarfilmer Andrei Loshak, dort würden die Nationalpatrioten nur davon träumen, den Russen eins auszuwischen, „Faschisten aller Länder - brennt in der Hölle“. Der Star-Youtuber Karen Shainyan unterstellte Lettland sowjetisches Gehabe: „Geliebte Kollegen von Doschd, ihr seid größer als Lettland und als all diejenigen, die nach euren kleinsten Ungenauigkeiten suchen, euch beneiden und hassen. Ihr werdet eure Feinde überleben“. Der Radiomoderator Sergey Parkhomenko prangerte die Doschd-Kritiker als kaltblütige Verleumder und eifersüchtige Halunken an. Die lettischen Behörden spielten nach dem Drehbuch des Kremls, sagte der Satiriker Viktor Schenderowitsch. In der Solidaritätserklärung der Juri des Journalismus-Preises „Redkollegia“ hieß es, die Entscheidung und alle, die dazu beitrugen, hätten dem Aggressor ein großes Geschenk gemacht und einen ernsthaften Beitrag zu seinem militärischen Potenzial geleistet.


Was in diesen Solidaritätsbekundungen auffälligerweise fehlt, ist jede Kritik am Sender für seine Fehltritte. Und jegliches Verständnis für diejenigen, die er damit verletzte, allen voran die Ukrainer und das Gastland Lettland. Dabei wurde der Sender bereits 2017 in der Ukraine wegen mehrfacher Verstöße gegen ukrainisches Medienrecht gesperrt. Selbst in Lettland erhielt Doschd schon eine Verwarnung für eine Karte, die die Krim als einen Teil Russlands darstellte. Ein technischer Fehler, sagen die Doschd-Journalisten. In seiner Stellungnahme zum aktuellen Skandal spottete der Chefredakteur Tichon Dsjadko ausgerechnet über den Chef der Aufsichtsbehörde, Ivars Āboliņš: Der behauptete, Doschd habe die falsche Karte mehrfach im Wetterbericht gezeigt, dabei sei dieser schon 2014 eingestellt worden. Solche Karten tauchten allerdings in anderen Sendungen und in sozialen Medien des Senders auf. Es bedarf keiner aufwendigen Recherche, um das herauszufinden, ukrainische Medien haben mehrere Fälle dokumentiert.


NEPLP-Chef Āboliņš musste immer wieder verblüfft feststellen, dass die Doschd-Leitung das Problem offensichtlich gar nicht begreife. Dabei verhält sie sich in Lettland so, wie sie es in Russland gelernt hat. Um dort zu überleben, muss man nicht die Gesetze befolgen, sondern mit Machthabern verhandeln und sich auf Abmachungen verlassen. Gesetze sind Nebensache, in Russland legen sie keine Normen fest, sie dienen vor allem als Mittel der willkürlichen Bestrafung. Wenn Verhandlungen und Kompromisse nicht helfen, bleibt nur das Mittel der offenen Konfrontation. Das weiß auch die Lettische Journalistenvereinigung LŽA, die Doschd in Schutz nahm und die Aufhebung der Sendelizenz als eine Überreaktion kritisierte: man hätte stattdessen den russischen Journalisten helfen müssen, die lettischen und europäischen Werte, die Grundsätze der Unabhängigkeit der Medien, die Rechte und die Verantwortung zu verstehen. Ob sie den lettischen Kollegen die Ehre erweisen, ihre Hilfe anzunehmen? In einer Demokratie hilft es auf jeden Fall, die Entscheidung einer Behörde vor Gericht anzufechten. Und das steht wohl als nächstes an. Hoffentlich wird das Gericht besonnen entscheiden, und alle lernen etwas daraus.


bottom of page