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Die Ukraine ist keine Krankheit

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 4. Mai 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Feb. 2024

Was Thomas Fischer bei „Spiegel.de“ zu einem Artikel von mir und zum russischen Angriffskrieg einfällt, ist ein Lehrbeispiel für Demagogie. Rassismus, indirekte Hassrede – alles ist da.

Meine Antwort auf Thomas Fischers Kolumne "Experten der Betroffenheit" bei Spiegel Online in: FAZ, 04.05.2023


Screenshot Faz.net

Ein Thomas Fischer aus dem Sauerland, einst Postbote, Richter am Bundesgerichtshof, seit 2021 beratender Rechtsanwalt in der Münchner Kanzlei Gauweiler & Sauter, legte bei „Spiegel.de“ seine Sicht auf den Zustand des deutschen Journalismus dar, den er in einer tiefen Krise wähnt. Ich stelle den berühmten Kolumnisten auf diese sonderbare Weise vor, weil er in seiner letzten Kolumne mich ungefähr so vorstellt und ausgerechnet mit meiner Herkunft (ich bin gebürtiger Ukrainer) seine Schlussfolgerung begründet, es habe sich eine Neuorientierung des Journalismus vollzogen, die im Konflikt mit der 150 Jahre alten Tradition der journalistischen Qualität stehe. „Die einfallslos-repetitive Parteilichkeit der deutschen Publizistik in der Frage des Ukrainekonflikts“ findet der Jurist überaus langweilig: „Gibt es irgendeinen vor dem Wahrheitsgebot bestehenden Grund für die Annahme, dass über den Konflikt der Ukraine mit Russland ausschließlich Ukrainer und amtlich beglaubigte Russenhasser berichten sollten, um die Wahrheit zu enthüllen?“


In meiner Kurzbiographie, auf die sich Thomas Fischer offenbar stützt, wird nicht erwähnt, dass ich auch in der politischen Bildung arbeite. Und wie es der Zufall will, bereite ich gerade einen Workshop über rassistische und fremdenfeindliche Aggressionen im Internet vor. Wäre die Kolumne nicht in endlosen Schachtelsätzen geschrieben, wäre sie eine perfekte Handreichung für diesen Workshop, denn sie enthält eine beachtliche Bandbreite an Beispielen aus dem Instrumentarium solcher Aggressionen, die auch im deutschen Ukrainediskurs sehr verbreitet sind.


Die Verwendung des Worts „Konflikt“ anstelle von „Angriffskrieg“ illustriert etwa das Downplaying, eine Diskussionstaktik, die darauf abzielt, die Schwere eines Problems herunterzuspielen und die Akzeptanz für seine negativen Auswirkungen zu erhöhen. Das Wort „Konflikt“ entschärft zudem die Täter-Opfer-Situation eines Angriffskrieges, indem es den Eindruck erweckt, es gäbe zwei Seiten, deren Interessen in einem gewissen Äquivalenzverhältnis zueinander stehen. Damit wird dem Opfer eine Mitschuld am Ausbruch der Gewalt gegeben („victim blaming“). Der Ausdruck „Konflikt der Ukraine mit Russland“ wiederum bietet ein sehr schönes Beispiel der Täter-Opfer-Umkehr, denn er suggeriert, dass es die Ukraine war, die den vermeintlichen Streit angefangen hat.


Um Zweifel im Keim zu ersticken, wird der „red herring“ eingesetzt, eine haltlose Anschuldigung, die so oft gemacht wird, dass sie auch nach tausendfacher Widerlegung am Beschuldigten festklebt. Hier ist er durch eines der beliebten Motive der russischen Propaganda vertreten, den vermeintlichen Hass auf alles Russische, der den Ukrainern und deutschen Medien unterstellt wird. „Ein ganz erheblicher Teil der von Exil-Ukrainern verfassten Analysetexte besteht aus Wutbekenntnissen ohne größeren Wert“, behauptet Fischer und beklagt, solchen Texten werde in den Medien ein dominierender Platz ohne jegliche Gegenrede eingeräumt (Opferinszenierung). Autoren der zahllosen Beiträge, die gegen Waffenlieferungen plädieren und der Ukraine den Verzicht auf Territorien nahelegen, dürfen sich ebenso missachtet fühlen wie die Verfasser und Unterzeichner der regelmäßig erscheinenden Friedensmanifeste, zu denen übrigens auch Fischers aktueller Arbeitgeber Peter Gauweiler gehört.


Die Funktion einer derart plumpen Falschbehauptung besteht meistens darin, von der eigentlich wichtigen Aussage abzulenken, die unwidersprochen bleibt und sich in den Diskurs als Wahrheit einschleicht. An dieser Stelle ist es das Wort „Exil-Ukrainer“, eine verschleierte Unterstellung, die Ukraine sei eine Diktatur. Aus Demokratien geht man nämlich nicht ins Exil, nicht einmal als Kriegsflüchtling. Es gibt heute genauso wenig Exil-Ukrainer wie Exil-Österreicher oder Exil-Italiener. Ein weiterer Unterton, der da mitschwingt, ist dass Menschen mit ausländischen Wurzeln für immer dazu verdammt sind, Fremde zu bleiben, und dass sie, da ein ganz erheblicher Teil der gemeinten „Exil-Ukrainer“ Professoren an deutschen Universitäten, Journalisten an deutschen Zeitungen, Träger deutscher Literaturpreise und so weiter sind, niemals so gut in ihrem Fach sein können wie etwa Sauerländer. Der Fachbegriff dafür ist „diskriminierende Verallgemeinerung“.

Die Reihe lässt sich mit Zitatfälschung, Begriffsverdrehung, „alternativen“ Fakten, Verschwörungsnarrativen und vielem mehr fortsetzten. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass die Kolumne von einer künstlichen Intelligenz verfasst wurde, die die Aufgabe hatte, in einem Text möglichst viele manipulative Techniken und negative Klischees über die Ukraine zu verwenden. Doch es sind die Markenzeichen Fischers, sein blumiger Schreibstil und seine Art, ad hominem zu argumentieren, die keine Zweifel an seiner Autorschaft lassen.


Kernstück der Kolumne ist ein sogenannter Strohmann, eine grotesk übertriebene, absurde Behauptung, die man dem Gegner (in diesem Fall mir) unterstellt, um sie dann fulminant zu widerlegen. Fischer nimmt nämlich Bezug auf meinen Artikel „Was die deutschen Friedensstifter nicht kapieren“ (FAZ vom 22.04.2023), in dem ich die Verleihung des Remarque-Preises an den ukrainischen Künstler Sergiy Maidukov und die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja kritisiere. Darin schreibe ich, dass es eine schlechte Idee ist, ukrainische Künstler und Intellektuelle zum Versöhnungsdialog auf eine Bühne mit Russen zu locken, weil es die Aggression relativiert und von der Mitverantwortung der russischen Gesellschaft für den Krieg ablenkt. Zudem findet der Dialog ohnehin kontinuierlich privat und in sozialen Netzwerken statt, auch ohne die Vermittlung der deutschen Friedensstifter. Und so wird es im Spiegel Online wiedergegeben: „Klimeniouk meint, diese Gattung (Art?) verstehe einfach nicht, dass es für einen Ukrainer (des Bluts oder des Herzens) unvorstellbar demütigend, falsch und ekelerregend sei, mit einer leibhaftigen Russin zusammen auf einer Bühne zu stehen, in einem Satz genannt oder auf einem Bild erkennbar zu sein. Und zwar auch für den Fall, dass die betreffende Person ein erklärter Gegner von Putins verbrecherischem Angriffskrieg (PVAK) sei.“


Zwei Momente fallen an dieser Passage besonders auf. Erstens ist es die selbsterdachte, ironisch-distanzierte Bezeichnung PVAK, wobei der Autor später im Text voll ernst über den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak“ schreibt, in den „die Koalition der Willigen (einschließlich der Republik Ukraine)“ gezogen sei. Diese demagogische Taktik heißt „Whataboutism“. Auch die Erwähnung des Vietnamkrieges darf nicht fehlen, obwohl beide Kriege nichts mit dem russischen Überfall auf die Ukraine zu tun haben. Übrigens heißt das Land offiziell schlicht Ukraine und nicht „Republik Ukraine“, was hier weniger auf die Staatsform als auf die „Sowjetrepublik“ anspielt und damit wohl andeutet, dass es doch irgendwie zu Russland gehört.


Zweitens sind es die „Ukrainer des Herzens“. Diesen Ausdruck verwendet Fischer an mehreren Stellen: „Mir fällt seit Längerem auf, dass die hiesige Expertenpublizistik zum Ukrainekrieg in erstaunlichem Umfang von Autoren bestritten wird, die entweder als Ukrainer vorgestellt werden oder als Russen, die eigentlich Ukrainer des Herzens sind, oder als Reporter, die »vor Ort« sowie mit ganzer Kraft Ukrainer des Herzens sind.“ Damit meint Fischer, Ukrainer zu sein sei so etwas wie eine Krankheit, schließlich haben professionelle Medien über Corona nicht nur „Erkrankte, Hinterbliebene oder Hochrisikopersonen“ schreiben lassen. Diese Form der Kommunikation nennt sich „indirekte Hassrede“. Hätte der Autor den Vergleich direkt formuliert, wäre es vermutlich justiziabel.


Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Fischers Text ausgerechnet in der Rubrik „Medienkritik“ erschien und den Verfall der journalistischen Standards beklagt. Eine richtig ungemütliche Vorstellung ist allerdings, dass der Autor einst Richter am obersten Gericht unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland war. Was, wenn er seine Urteile so schrieb, wie seine Kolumnen?

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