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Panzer, damit die Ukraine bestehen kann

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 16. März 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Feb. 2024

Der ukrainische Komiker Serhiy Prytula sammelt Spenden für die Armee. Gerade hat er 101 Panzer gekauft. Die Sensation ist: Das ist keine Sensation. Die Ukrainer geben für ihre Freiheit alles.

Veröffentlicht in: FAZ, 16.03.2023


Screenshot Faz.net

Der ukrainische Komiker und Fernsehmoderator Serhyj Prytula hätte einer jener Promis sein können, die man, wenn man ihre Sendungen nicht schaut, vor allem aus Klatschspalten oder Werbespots für Kosmetikprodukte und Naschereien kennt. Seine Karriere im ukrainischen Showbusiness ist klassisch für die Branche: Teilnahme an verschiedenen Comedy-Shows, Moderation des ESC, eine nicht besonders anspruchsvolle Rolle in einer nicht besonders anspruchsvollen Filmkomödie. Sein Humor ist derb; er hat sich auch schon einige rhetorische Fehltritte geleistet, für die er heftige Kritik einstecken musste. Dennoch steht sein Name in der Ukraine nicht in erster Linie für populäre Unterhaltungsformate. Prytula ist einer der bekanntesten Volontäre des Landes, ein außerordentlich erfolgreicher Organisator von Spendenkampagnen für humanitäre Projekte und vor allem für das ukrainische Militär.


Am 3. März gab Prytula den Kauf von 101 britischen Transportpanzern bekannt. Das Geld wurde im November letzten Jahres von der nach ihm benannten Stiftung durch Spenden gesammelt. Die ersten 24 Kettenfahrzeuge sind in der Ukraine eingetroffen und wurden der Armee übergeben. Es handelt sich um acht Modelle (FV103 Spartan, Samaritan, Sultan, Stormer, Shielder, FV432 Bulldog, FV434, Samson), die für verschiedene Zwecke eingesetzt werden können: als Aufklärungspanzer, mobile Kommandozentrale oder als Sanitätsfahrzeug zur Bergung von Verwundeten. Der Großteil dieser Fahrzeuge besteht jedoch aus Mannschaftstransportwagen vom Typ Spartan. Sie waren seit 1978 bei der britischen Armee im Einsatz und wurden ab 2009 durch neuere Modelle ersetzt. Die Mehrzahl der ausgemusterten Spartans befand sich nach Angaben des „Guardian” in Privatbesitz und hatte meist weniger als 10.000 Meilen auf dem Tacho.


Bei seinem Überraschungsbesuch in Kyjiw im April letzten Jahres sicherte der damalige britische Premierminister Boris Johnson der Ukraine die Lieferung von 120 Spartans zu. Die ersten 35 wurden von der Regierung des Vereinigten Königreichs gespendet und haben sich im Kampfeinsatz bewährt. Private Spendenaktionen folgten. Im Oktober kauften die NGO „Sprava Hromad“ und Ex-Präsident Petro Poroschenko 14 Transportpanzer, darunter auch Spartans. Am 2. November startete die Prytula-Stiftung einen Spendenaufruf für 50 Spartans. Das Ziel, 200 Millionen Hrywnja zu sammeln, wurde in nur eineinhalb Tagen übertroffen, und die gesammelten 238 Millionen Hrywnja (etwa sechs Millionen Euro) reichten schließlich für den Kauf von 101 Fahrzeugen.


Das blitzschnelle Übertreffen von Spendenzielen ist zum Markenzeichen der Prytula-Stiftung geworden. Im Juni wollte die Stiftung innerhalb einer Woche 500 Millionen Hrywnja für den Kauf von drei türkischen Kampfdrohnen des Typs Bayraktar TB2 sammeln. Schließlich kamen nach zwei Tagen über 600 Millionen zusammen, der Hersteller Baykar stellte die Drohnen kostenlos zur Verfügung, und Prytula kaufte mit dem Geld einen hochauflösenden Aufklärungssatelliten der finnischen Firma Iceye sowie ein Jahr Zugang zu deren kompletter Datenbank. Laut Verteidigungsminister Oleksij Resnikov hat sich die Investition nach zwei Tagen ausgezahlt: Man habe 60 getarnte russische Kampffahrzeuge entdeckt, die man mit anderen Mitteln nicht hätte sehen können.


Prytulas Erfolg beim Fundraising, wie er sich etwa bei einer Kunstauktion in Kyjiw im Sommer des vergangenen Jahres zeigte, hat viel mit seinem PR-Talent zu tun, aber nicht zuletzt auch damit, dass er sich für die Armee schon seit Kriegsbeginn, also seit Anfang 2014, einsetzt. Damals sammelte er im Foyer seines Fernsehsenders wöchentlich Kleidung, Lebensmittel und Medikamente. Mit der Zeit wurde das karitative Engagement zu seiner Hauptbeschäftigung, 2020 gründete er die Stiftung, für die inzwischen etwa zweihundert Freiwillige arbeiten. Seine politische Karriere verlief dagegen bisher eher holprig: 2019 schaffte er es nicht, für die Partei Golos ins Parlament einzuziehen, bei der Bürgermeisterwahl im Kyjiw im Jahre 2020 unterlag er mit 7,8 Prozent der Stimmen dem mit 50,5 Prozent wiedergewählten Amtsinhaber Vitali Klytschko. 2021 trat er aus der Golos-Partei aus und erklärte, er wolle seine eigene Partei gründen. Die Partei gibt es noch nicht, dennoch führt sie schon in den Umfragewerten. Laut einer Erhebung des National Demogaphic Institute vom Januar 2023 vertrauten Prytulas virtueller Partei 49 Prozent der Befragten, wogegen Präsident Selenskijs „Diener des Volkes“ nur 41 Prozent Zustimmung bekam. Prytulas persönlicher Beliebtheitswert liegt bei 81 Prozent, damit rangiert er auf Platz 3 hinter Selenskij (91) und dem Oberbefehlshaber der Armee Walerij Saluschnyj (87).

Ob sich diese Beliebtheit in Wählerstimmen umwandeln lässt, ist allerdings alles andere als sicher. Die ukrainische Politik ist äußerst volatil, dabei sind freiwilliges Engagement und Spenden in diesem Jahr zum festen Bestandteil des Lebensstils vieler Ukrainer geworden. Neben mehreren Stiftungen und prominenten Volontären gibt es zahlreiche Privatinitiativen, die nicht nur die Armee, sondern auch Krankenhäuser und Rhea-Zentren, Tierheime, Museen oder Theater unterstützen. Es entstand eine Art karitative Kreiswirtschaft. Man geht ins Konzert, damit die Künstler etwas verdienen, und die Künstler spenden aus ihren Einnahmen. Selbst Konsum wird zu karitativer Tätigkeit. Eine in Berlin lebende Ukrainerin erzählt, sie werde in den Urlaub in die ukrainischen Karpaten fahren, die lokale Tourismuswirtschaft braucht jetzt Kunden mehr denn je. Eine aus Kyjiw nach Lwiw geflüchtete Ukrainisch-Lehrerin sagt, sie hole sich Kaffee von einem Café, das Flüchtlinge aus Charkiw in ihrer Straße betreiben, damit deren Geschäft überlebt. Ihr Mann, der im IT arbeitet, überweist einen Teil seines Einkommens an die Armee. Und sie selbst spendet an die Prytula-Stiftung.


Die Nachricht, dass die Stiftung mehr als hundert Transportpanzer gekauft hat, klingt nur wie eine Sensation. Das wirklich Sensationelle daran ist: Es ist nichts Außergewöhnliches passiert. Die Ukrainer geben alles, um ihr Land zu verteidigen. 94 Prozent von ihnen wollen laut der Umfrage des National Demographic Institute, dass ihr Land eine voll funktionsfähige Demokratie wird, 92 Prozent wünschen sich die Befreiung aller besetzten Gebiete und 82 Prozent lehnen einen Frieden um den Preis der Aufgabe der Krim und des Donbass ab. Und anders als die Unterzeichner der deutschen Friedensmanifeste wissen sie sehr genau, welchen Preis sie dafür zahlen.

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