Schreib ja nichts über den Krieg!
- Nikolai Klimeniouk
- 16. Dez. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Was passiert, wenn ein Digitalkonzern die Öffentlichkeit beherrscht: Facebook sperrt Inhalte ukrainischer Medien und lässt russische Trolle durch. Auf Nachfrage zeigt sich das Unternehmen gleichgültig.
Veröffentlicht in: FAZ, 16.12.2022

Der erzkonservative Zar Alexander III. soll einmal gesagt haben, dass Russland nur zwei Verbündete habe, das Heer und die Flotte. Der Spruch ist in Putins Russland sehr populär, dabei hat das Land immer noch erstaunlich viele Helfer. Dazu gehört offensichtlich auch Meta, der Betreiber von Instagram und Facebook.
Seit Beginn der russischen Invasion macht es die Plattform den Ukrainern schwer, zuverlässige Informationen über das Kriegsgeschehen zu erhalten. So wird laut einer Studie von „Media Development Foundation“ ein Großteil der ukrainischen Medien von Facebook mit Einschränkungen belegt. Ob es welche gibt, können nur die Administratoren einer Seite in den Tiefen des Geschäftskontos sehen in einem Bereich, der „Page Quality Tool“ heißt. Der Status einer Seite kann dort von grün (keine Verstöße) über gelb (einige Verstöße; Monetarisierung teilweise deaktiviert) bis hin zu rot (erhebliche Verstöße; begrenzte organische Reichweite; keine Monetarisierung) reichen. Von den 59 untersuchten Medienseiten wurden 27 in die gelbe oder rote Zone platziert. Ein Drittel der unabhängigen ukrainischen Medien, so die Studie, können ihr Zielpublikum nicht erreichen. Einige haben von den Einschränkungen erst nach Monaten erfahren, nachdem sie einen erheblichen Rückgang der Benutzerzahlen merkten. Es betreffe vor allem regionale und lokale Medien, die etwa die Hälfte ihres Publikums über Facebook gewinnen, erzählt einer der Mitverfasser der Studie und Geschäftsführer des großen ukrainischen Medienunternehmens „Ukrainskaja Prawda“, Andrey Boborykin. Die Medien aus den seit 2014 teilweise besetzten Oblasts Donezk und Luhansk hätten ein zusätzliches Problem, dass Meta zwischen den ukrainisch kontrollierten Gebieten und den sogenannten Volksrepubliken nicht unterscheide und vorsichtshalber Werbemöglichkeiten für alle Medien aus der Region sperre. Dabei ist Facebook das meistbenutze soziale Netzwerk in der Ukraine, laut Statista sorgt es für 60 Prozent der gesamten Social-Media-Nutzung. Nach den Daten von Global Logic sind 15.45 Millionen Ukrainer auf Facebook registriert, das entspricht 58 Prozent aller ukrainischen Internetnutzer.
Was die von Facebook verhängten Strafen angeht, so nennen die befragten Medienunternehmen dafür vor allem zwei Gründe. Zum einen werden sie sanktioniert, wenn sie aus Facebooks Sicht zu viel posten. Viel häufiger handelt es sich allerdings um die Verletzung der „Community Standards“. Als solche werden von Facebook unterschiedlichste Inhalte eingestuft, die mit dem Krieg zu tun haben. Videos von der Front werden oft als Gewaltdarstellungen, Bilder von Kriegsopfern als gewaltverherrlichende oder sexuelle Inhalte (Nacktheit) markiert. Das betraf zum Beispiel mehrere Medien, die Fotos aus Butscha posteten. Ein anderer verbreiteter Sperrgrund ist die bloße Erwähnung des Regiments Asow, einer Einheit der ukrainischen Nationalgarde, die eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung von Mariupol spielte. Der rechtsradikale Ursprung des Regiments wurde von Russland so erfolgreich skandalisiert, dass es bis heute vielen im Westen als das Sinnbild der Ukraine gilt. Die „Entnazifizierung“ der Ukraine war eines der von Russland anfangs angekündigten Kriegsziele, und da folgt Facebook wohl dem russischen Fahrwasser. Die Plattform entfernt nicht nur Nachrichteninhalte, in denen die Insignien von Asow zu sehen sind, sondern etwa solche mit dem Wappen der historischen Region Galizien. Der Schild mit dem gelben Löwen auf dem blauen Hintergrund diente als Vorlage für das Emblem der heutigen Oblast Lwiw, aber auch für die Abzeichen der Waffen-SS-Division „Galizien“, ein anderes beliebtes Motiv der russischen Propaganda. Die Regeln bezüglich dieser Symbole habe Facebook 2015 eingeführt, erzählt Andrey Boborykin. In den ersten Wochen nach dem Beginn der Invasion habe es einen Austausch über diese Probleme zwischen ukrainischen Medien und den Vertretern der zuständigen Struktur von Meta, News Partnerships Central Europe, gegeben. Einige Vorschläge wurden zwar berücksichtigt, insgesamt habe sich aber nicht viel geändert. So hat Meta angekündigt, die Sprachregelungen für die ukrainischen Nutzer zu lockern. Dennoch werden sowohl ukrainische Medien, als auch private Nutzer weiterhin für “Hasssprache“ sanktioniert, wenn sie etwa die russischen Soldaten „Orks“ nennen oder andere abwertende Begriffe in Bezug auf Russland verwenden. Selbst in Zeiten des Kriegs achtet Meta auf die guten Manieren der Angegriffenen. Das geht so weit, dass etwa Kriegsgedichte bekannter ukrainischer Autoren, die sie auf Facebook posten, sofort entfernt werden. Der Dichter Boris Chersonskij zum Beispiel erzählt, Facebook habe seine Gedichte fünfmal, und die seiner Frau, Ljudmila Chersonskaja, neunmal gelöscht. Die Initiative Digital Security Lab hat mehrere Fälle dokumentiert, wo es gar keine offensichtlichen Gründe für die Sperrung von Posts gegeben habe, außer dass sie einen Bezug zum ukrainischen Kontext hätten. So habe Instagram beispielsweise den Beitrag eines bekannten ukrainischen Bloggers mit einem Foto des gefallenen Aktivisten Roman Ratushnyi gelöscht. In manchen Fällen habe Meta die Aufrufe zum Spenden fürs ukrainische Militär unterdrückt, schaffe es aber nicht, die Fake-Accounts, die sich für bekannte Wohltätigkeiten ausgeben, rechtzeitig zu erkennen und sperren.
Die erratische Moderation habe laut Boborykin nicht zuletzt damit zu tun, dass Meta auf KI-basierte verfahren setze und zu wenig landeskundiges Personal beschäftige. Dabei, meint Felix Kartte von der Initiative für digitale Transparenz „Reset“, haben die russischen Akteure längst begriffen, wie man die KI austricksen und die Algorithmen manipulieren kann. So werden prorussische Inhalte mit Kommentaren und Likes und die proukrainischen bzw. russlandkritischen mit Beschwerden überhäuft. So lerne die KI, die einen hochzupuschen und die anderen zu unterdrücken. Dabei habe Meta schon ähnliche Probleme mit den Inhalten der Verschwörungsideologie Q-Anon oder etwa der Militärdiktatur in Myanmar erfolgreich gelöst, zögere aber aus irgendeinem Grund, die erprobten Mittel für Russland anzuwenden. Es ist umso erstaunlicher, als Meta in Russland im März zu einer extremistischen Vereinigung erklärt wurde. Der Zugang zu Facebook und Instagram ist dort seitdem geblockt.
Nicht nur ukrainische Medien und internationale NGOs finden Metas Kommunikation mangelhaft und die Moderation problematisch. Die Vorsitzende des Ausschusses für Digitales im Bundestag, Tabea Rößner (Grüne), sieht in Metas schlechter Inhaltemoderation eine Gefahr für die Presse- und Meinungsfreiheit. Es werde immer noch zu wenig für Sprache und Land geschultes Personal eingesetzt, vielmehr seien während der vergangenen Wochen Tausende von Moderatorinnen und Moderatoren entlassen worden. Um die Situation zu verbessern, brauche es einen unabhängigen und staatsfernen nationalen Koordinator und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Meta weiß diese Kritik von sich. Auf die Anfrage dieser Zeitung verwies der Vertreter des Konzerns auf die Community Standards, auf einen Blog über Metas Aktivitäten bezüglich des Kriegs mit dem letzten Eintrag vom 17. März und teilte mit, Meta beschäftige 15.000 Moderatoren, darunter auch ukrainische. Wie viele es genau seien, konnte er nicht sagen: „Wir teilen die Anzahl leider nicht heruntergebrochen auf Sprache“.