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Unterwerfung

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 25. März 2018
  • 3 Min. Lesezeit

Warum wählen die Deutschen eigentlich so gerne Putin?

Veröffentlicht in: FAS, 25. März 2018


Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.03.2018

Die Russen in Deutschland, heißt es, hätten mit 74 Prozent für Putin gestimmt. Achtung, die fünfte Kolonne ist im Anmarsch, unsere Demokratie in Gefahr. Echt? In Deutschland leben laut Ausländerzentralregister 240 000 russische Staatsbürger und, laut Mikrozensus, 280 000 deutsch-russische Doppelstaatler. Von ihnen kamen nach Angaben der russischen Botschaft gerade mal 33 853 Menschen zur Wahl, und in dieser Zahl, so Beobachter, sind bis zu 10 000 womöglich tote Seelen. Wenn schon jemand in Deutschland zu Putin und dem Staat, den er aufgebaut hat, steht, dann sind es nicht die Russen, sondern die Deutschen selbst. Und nicht irgendwelche Deutschen. Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte Putin als erstes Staatsoberhaupt einer Demokratie zu dessen „Wiederwahl“, als wüsste er nichts vom massiven Wahlbetrug oder etwa davon, dass ein möglicher Herausforderer, Boris Nemzow, vor den Pforten des Kremls erschossen und ein anderer, Aleksej Nawalnyj, rechtswidrig nicht zur Wahl zugelassen wurde.


Jüngste Umfragen zeigen Erstaunliches. 91 Prozent der Deutschen sind überzeugt, von Russland gehe keine Gefahr aus. Nicht die Hackerangriffe auf den Bundestag, die Bundesregierung und die Parteizentrale der CDU, nicht einmal der jüngste Nervengiftanschlag in Großbritannien, bei dem neben der eigentlichen Zielperson, dem russischen Ex-Geheimdienstler, mehrere hundert unbeteiligte Menschen mehr oder minder schwere Schäden erlitten, erschüttern diesen Glauben der Deutschen. Schlimmer noch, 63 Prozent lehnen politische Maßnahmen gegen Russland aus Solidarität mit Großbritannien ab. Sie fordern „handfeste Beweise“. Die Erfahrung zeigt, dass solche Beweise immer kommen, aber es dauert. Und wenn sie kommen, interessiert sich keiner mehr dafür.


Ohnehin scheinen die Deutschen ziemlich genau zu wissen, wer ihr größter Feind ist. Laut ZDF-Politbarometer halten sie den zugegebenermaßen unberechenbaren, aber immerhin demokratisch gewählten und vom Rechtsstaat in seiner Willkür sehr eingeschränkten Unsympathen Donald Trump für weitaus gefährlicher (82 Prozent), als Putin (53 Prozent), der einen Krieg nach dem anderen vom Zaun bricht und dem Westen unverholen mit Vernichtung durch neuartige nukleare Wunderwaffen droht.


Die US-Publizistin Anne Applebaum, die an der London School of Economics lehrt, vertrat in der „Washington Post“ die These, Russland habe die politischen Eliten in Großbritannien mit Parteispenden und immensen Investitionen in Finanzmärkte und Immobilien korrumpiert. Die Insel sei zur Hauptwäscherei für russisches kriminelles Geld geworden, und Russland habe deshalb keine Hemmungen, dort Whistleblower und Regimefeinde zu liquidieren. Deutschland haben die russischen Machthaber, wie es scheint, eine andere Rolle zugedacht: Die deutsche Wirtschaft darf in und an Russland verdienen, im Gegenzug liefert der deutsche Staat Putin und seinem Regime politische Legitimation.


Im Mai 2011 fragte ich den Außenminister a. D. Joschka Fischer bei einer öffentlichen Veranstaltung in Moskau, warum die Bundesregierung die Menschenrechtsverletzungen und den Abbau der Demokratie in Russland so hingenommen und keinen Druck auf Putin ausgeübt habe, als dessen Macht noch nicht so groß war und er selbst um seinen Ruf im Westen sehr bemüht. Fischer antwortete sinngemäß, es sei die Aufgabe der Russen, und nicht der Bundesregierung, für die Demokratie in ihrem Land zu sorgen. Könnte man demnach nicht auch sagen, die Bürger der DDR seien selbst am Mauerbau schuld? Das ist keine Exklusivhaltung von Joschka Fischer; ganz Deutschland wünscht sich mit Russland business as usual.


Fünf der sieben im Bundestag vertretenen Parteien und deren Anhänger in der Wählerschaft plädieren für eine Annäherung an den „Nachbarn im Osten“. Die gesamtdeutsche Zustimmung dafür liegt bei 58 Prozent, im Osten sogar bei 72 Prozent. Und um alle Zweifel gleich vorwegzunehmen: Beim Wort „Russland“ denken die meisten Befragten, nämlich 45 Prozent, an Putin, und lediglich 21 Prozent an Kultur.


Der Supermarkt „Ullrich“ in der Berliner Wilhelmstraße ist heute vor allem dafür bekannt, dass Angela Merkel dort ihre Einkäufe macht, manchmal sogar in Begleitung von Staatsgästen. Kurz nach der Wiedervereinigung, als die Ministerienmeile noch Otto-Grotewohl-Straße hieß und sich kaum jemand das Wort „Bundeskanzlerin“ vorstellen konnte, geschweige denn, dass man so eine Ossi-Frau nennen wird, stand ich dort an der Kasse und wurde Zeuge einer bemerkenswerten Szene. Vor mir warteten ein älteres deutsches Paar und eine junge Frau, die sich mit ihrem Kind auf Russisch unterhielt. Die Alte zeigte auf den Einkaufswagen der Jungen und sagte in die Luft: „Seit wann benutzen denn die Russen Klopapier?“ Die junge Mutter drehte sich um und erwiderte mit freundlichstem Lächeln: „Seit ihr aufgehört habt, uns den Arsch zu lecken.“ Was man sich damals noch weniger als eine Bundeskanzlerin vorstellen konnte, war, wie falsch die junge Frau mit ihrer Einschätzung lag.

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