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Welches Erbe hinterlässt Alexej Nawalnyj?

  • Autorenbild: Nikolai Klimeniouk
    Nikolai Klimeniouk
  • 25. Feb. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 26. Okt. 2024

Russlands Propaganda verbreitet mal wieder absurde Theorien. In den Nachbarländern sorgt der Oppositionelle auch nach seinem Tod für Kontroversen.

Veröffentlicht in: FAS, 25.02.2024


Alexej Nawalnyj vor Gericht
Screenshot FAZ.net

Alexej Nawalnyjs politisches Erbe sorgt auch jetzt noch für Kontroversen, zugleich versucht der Kreml, die Todesumstände des Oppositionellen zu verschleiern. Zuerst meldete der Propagandasender RT, er sei an einem Blutgerinnsel gestorben. Daraufhin spekulierte Zargrad, ein anderes Propagandamedium, das Gerinnsel sei auf den Pfizer-Impfstoff zurückzuführen, mit dem Nawalnyj fünfmal geimpft worden sei. Seiner mit Sputnik geimpften Frau Julia gehe es hingegen gut.


Zu gut, meint Putins einstiger Platzhalter Medwedew: „Schaut euch das lächelnde, glückliche Gesicht von Nawalnyjs Witwe an. Man hat das Gefühl, dass sie all die Jahre auf dieses Ereignis gewartet hat, um ihr politisches Leben zu beginnen.“ Während aus allen Kanonen auf Nawalnyjs Witwe geschossen und sie mit skurrilen Andeutungen für seinen Tod verantwortlich gemacht wird, musste Nawalnyjs Mutter, nachdem die offizielle, nicht minder absurde Todesursache „plötzliches Todessyndrom“ feststand, um die Herausgabe des Leichnams kämpfen.


Nawalnyjs Sympathisanten erinnert das an große Literatur. Seine Mutter kämpfe wie Antigone für die Beerdigung ihres Bruders. Der Tote selbst wird mal als Drachentöter Lancelot, mal als Messias dargestellt; viele schreiben, sie hätten ohne ihn die Hoffnung auf „das schöne Russland der Zukunft“ verloren. Die Heiligsprechung geht selbst vielen russischen Regimegegnern zu weit, doch wer sich mit Nawalnyjs Erbe kritisch auseinandersetzen will, macht sich angreifbar. Ein bekannter Schriftsteller verglich seinen Tod mit dem Kreuztod des Heilands und spottete, wer Nawalnyj für seine Rückkehr nach Russland kritisiere, wünschte sich, Jesus hätte lieber ein Krankenhaus gegründet. Was die überzogene Metapher verdeckt: Der ermordete Oppositionspolitiker hinterlässt keine große Idee. Sein „schönes Russland der Zukunft“ ist dasselbe Russland, nur ohne Putin und mit freien Wahlen. In den Nachbarländern Russlands hat man das verstanden, Nawalnyj war dort auch unbeliebt; und manche Trauergesten russischer Exilanten werden durchaus als respektlos empfunden. In Kasachstan etwa hat eine Blumenniederlegung in Astana am Denkmal der Opfer der politischen Repressionen für Kritik gesorgt – Nawalnyj hatte sich mehrfach abwertend über Völker Zentralasiens geäußert und sich für Abschiebungen, Einreisebeschränkungen und andere Repressionsmittel eingesetzt. In Georgien hat man nicht vergessen, wie er 2008 Putin als zu weich beschimpfte und Marschflugkörper auf Tbilisi und Deportationen georgischer Bürger forderte. Zu der territorialen Integrität der Ukraine bekannte er sich erst nach Beginn der vollumfänglichen Invasion, da war er schon in Haft. Und wenn oppositionelle Russen jetzt Julia Nawalnaja zur neuen Heiligen Fürstin Olga erklären, empfinden Ukrainer das als weiteren russischen Angriff auf ihre Geschichte: Die Kyjewer Herrscherin aus dem 10. Jahrhundert rächte sich am Nachbarstamm der Drewlanen für den Tod ihres Mannes Ihor und brannte deren Hauptstadt Iskorosten nieder, das heutige ukrainische Korosten.


In Deutschland wird Nawalnyj eher positiv gesehen. Aber auch hier leisteten sich Exilrussen einen Fauxpas. Eine Initiative will einen Straßenabschnitt neben Russlands Botschaft nach Nawalnyj benennen. Sie argumentieren mit einer seiner Gerichtsreden, in der er sagte, er halte den Krieg für „brudermörderisch“, die Kreml-Bande töte, um zu stehlen. Damit machen sie ungewollt auf seine imperiale Wortwahl aufmerksam, vor allem aber darauf, dass der einstige Hardcore-Nationalist bis zuletzt den aggressiv-imperialistischen Charakter des Regimes verkannte. Er begünstigte so auch die fatale Fehleinschätzung im Westen. Denn wenn dort Russlands Herrscher kritisch betrachtet wurden, dann meist durch die Augen der russischen Opposition.

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